Während drei Wochen sind wir, Jonathan und François, mit Interrail durch Schweden, Norwegen und Finnland gereist: fast durchwegs auf der Schiene, manchmal auf dem Wasser, selten per Bus. Auch mit Nachtzügen waren wir unterwegs – einer davon hat uns besonders beeindruckt: der Nachtzug von Helsinki nach Kolari. Es ist ein Zug, der selbstbewusst und zuverlässig den Süden mit dem Norden des riesigen Landes verbindet – ein Zug mit einer wichtigen Aufgabe.

Hinweis: nightride.com führt die finnischen Nachtzüge leider noch nicht - wir bemühen uns aber darum! Bis dann kannst du zumindest deinen Interrail-Pass via nightride.com buchen: Interrail.

Reise mit dem Interrail-Pass durch Europa

Start in Helsinki

Bevor es mit dem Nachtzug in den Norden Finnlands ging, hatten wir noch ein paar Tage Zeit, die Stadt Helsinki kennenzulernen. Helsinki wirkte auf uns zuerst etwas rau und ungeschliffen. Als wir dann aber am Abend auf der Insel Suomenlinna auf Helsinki blicken, zeigt sich die Stadt an der wilden Schärenküste von einer ganz anderen Seite.

Blick von der Insel Suomenlinna auf das Stadtzentrum von Helsinki.
Blick von der Insel Suomenlinna auf das Stadtzentrum von Helsinki.

Helsinki wirkt authentisch, selbstbewusst und offen. Und nie aufdringlich. Es sind die Menschen, welche die Stadt so speziell machen. Wir durften Finn*innen kennen lernen, welche zurückhaltend, aber gleichzeitig sehr herzhaft, wohlwollend und hilfsbereit sind. Und wir machten Bekanntschaft mit dem trockenen, manchmal etwas schwarzen finnischen Humor, der richtig gut tut. Die äusserst saubere Stadt hat Ecken und Kanten, dafür eine Art Eigenwilligkeit und ein Selbstbewusstsein, das wir zu mögen begannen. Der Abschied fällt deshalb nicht ganz leicht.

Helsinki ist eine Stadt, die man mit der Strassenbahn erkunden kann.
Helsinki ist eine Stadt, die man mit der Strassenbahn erkunden kann.

Das Abenteuer beginnt

Mit diesen intensiven Eindrücken stehen wir am Perron des Helsingin Päärautatieasema, des Hauptbahnhofs von Helsinki und steigen in unseren Nachtzug in Richtung Norden. Es ist kurz vor 20.00 Uhr und wir finden unser Abteil mit eigenem WC und Dusche schnell. Die Tür zum Abteil steht offen, die Schlüsselkarte steckt. Begleitpersonal haben wir bisher nicht angetroffen. Da alles sehr selbsterklärend ist, haben wir dieses bisher auch nicht vermisst.

Der abfahrbereite Nachtzug von Helsinki nach Kolari.
Der abfahrbereite Nachtzug von Helsinki nach Kolari.

Bei Nachtzugreisen sparen wir jeweils nicht, damit wir die Reise so richtig geniessen können. Die Reise kostet für zwei Personen gerade mal 123.80 €. Dies in einem Schlafwagen mit eigenem WC und eigener Dusche. Ein verblüffend günstiger Preis. Die Interrail-Vergünstigung ist so gering, dass es sich nicht einmal lohnt, einen Interrail-Tag zu verwenden.

Die Quittung: Verblüffend günstig für das, was die finnische Bahn zu bieten hat.
Die Quittung: Verblüffend günstig für das, was die finnische Bahn zu bieten hat.

Wir haben uns bereits im Vorfeld gefragt, weshalb solch tiefe Preise für tausend Kilometer in einem geräumigen Zweierabteil überhaupt möglich sind. Die Antwort auf diese Frage liegt in der Selbstverständlichkeit, beziehungsweise dem Bedarf dieses Zuges. Nachtzüge sind hier in Finnland selbstverständlich, denn sie erfüllen in diesem riesigen Land die wichtige Aufgabe, Menschen der südlichen Regionen mit den Menschen im Norden zuverlässig zu verbinden. Unabhängig von Wetter und Jahreszeit. Die Nachtzüge werden vom finnischen Staat deshalb subventioniert. Wer mehr darüber erfahren möchte, empfehlen wir unseren Bericht über den Besuch des Unterhaltswerks der Staatsbahn VR in Helsinki. Der Link befindet sich am Schluss dieses Blogposts.

Heavy Metal aus und in Helsinki: Hier werden die Personenzüge der Staatsbahn gewartet.
Heavy Metal aus und in Helsinki: Hier werden die Personenzüge der Staatsbahn gewartet.

Das Nachtzug-Angebot kommt an: Der Zug ist gut belegt und er verlässt auf die Minute pünktlich – um 20.29 - Helsinki. Auf die finnische Eisenbahn scheint tatsächlich Verlass zu sein.

Gebucht haben wir die Reise über die App der VR (Valtionrautatiet – Finnische Staatsbahn), was sehr schnell ging und einfach war. Neben älteren einstöckigen Schlafwagen, wo sich die Mehrbettabteile befinden, sind die luxuriösen Zweierabteile in grossen Doppelstock-Schlafwagen untergebracht. Und die können sich so richtig sehen lassen: Aufgrund der breiteren und höheren Wagen (in Finnland fahren die Eisenbahnen auf breiterer Spur als im restlichen Europa), ist auch in Doppelstockwagen viel Platz vorhanden. Der zusätzliche Platz wird hier in Finnland innovativ genutzt. So findet man hier im Zug Schliessfächer, Telefonkabinen oder bediente Gepäckabgabestellen.

Selbst in den Seitengängen der Wagen sind die Platzverhältnisse grosszügig.
Selbst in den Seitengängen der Wagen sind die Platzverhältnisse grosszügig.

Die Betten sind sehr bequem und auch für höher gebaute Menschen wie wir genügend lang. In der Dusche hängt Frotteewäsche, Duschgel und Seife stehen zur Verfügung. Auch das Wifi funktioniert tadellos (wo eben Netzabdeckung ist). Alles ist äusserst sauber, alles funktioniert einwandfrei – wie so fast alles hier in Finnland. Und die Wagen aus den 90er-Jahren wirken noch immer modern.

Der beste Wagen im Zug

Und noch etwas liegt auf dem Bett: Eine Broschüre mit dem Menü des Speisewagens, explizit betitelt als: Der beste Wagens des Zuges. Die Broschüre verspricht ein breites Sortiment an Snacks, Getränken und warmen Speisen. Da wir von den finnischen Speisewagen schon gehört und gelesen hatten, machen wir uns sogleich auf den Weg dorthin. Und hier sind wir ein weiteres Mal fasziniert. Der geräumige und gemütliche Wagen lädt so richtig ein, ein Abendessen einzunehmen.

Noch herrscht gähnende Leere im Restaurant, was sich nach der Abfahrt bald ändern wird.
Noch herrscht gähnende Leere im Restaurant, was sich nach der Abfahrt bald ändern wird.

Wir bestellen einen Salat zur Vorspeise und danach Fleischbällchen mit Kartoffelstock. Serviert werden die Speisen direkt am Platz. Das Essen kommt in Porzellantellern, dazu gibt es echtes Besteck. Das Ganze wirkt solide und liegt jenseits von Plastikbesteck und Papptellern. Und das Essen schmeckt so richtig gut.

Fleischbällchen mit Kartoffelstock - der Klassiker im Speisewagen des Kolari-Nachtzugs.
Fleischbällchen mit Kartoffelstock - der Klassiker im Speisewagen des Kolari-Nachtzugs.

Kurz nachdem wir das Essen serviert bekommen haben, der Zug ruckelt noch immer durch die Vororte von Helsinki, kommen wir abrupt zum Stehen. Etwas ratlos schauen wir zum Fenster raus und rechnen mit einer Durchsage, dass es ein Problem mit Lok, einem Signal oder einer Weiche gäbe. Die Durchsage bleibt aber aus.

Hinter unserem doppelstöckigen Schlafwagen folgt gleich das einstöckige Restaurant.
Hinter unserem doppelstöckigen Schlafwagen folgt gleich das einstöckige Restaurant.

Stattdessen guckt der Restaurantmitarbeiter, man könnte ihn als Koch bezeichnen, aus seiner Kombüse und ruft in die Gaststube, dass nun die Autowagen angekoppelt werden. Es gehe danach gleich weiter. Eine weitere Besonderheit dieser Nachtzüge ist nämlich der Autotransport, welcher die VR anbietet. Man fährt das Auto in einen Vorort von Helsinki, wo dann die Strassenfahrzeuge auf spezielle Autotransportwagen (ebenfalls zweistöckig, teilweise gedeckt) gefahren werden.

Die Autotransportwagen am Zugsende: Ein geniales Konzept der finnischen Staatsbahn VR.
Die Autotransportwagen am Zugsende: Ein geniales Konzept der finnischen Staatsbahn VR.

Die Autofahrer*innen steigen dann in den Nachtzug, während ihr Auto hinten auf den Autowagen mitfährt. Und hier werden diese Wagen mit den Autos also angekoppelt. Ein geniales Angebot, denken wir. Besonders im Winter stellen wir uns die Strassenverhältnisse ziemlich arktisch, dunkel und garstig vor. Statt hunderte Kilometer auf der Strasse fahren zu müssen, gibt es dieses Angebot der finnischen Bahn als Alternative. Offensichtlich wird dieses auch rege genutzt, denn der Zug und das Restaurant füllen sich nach diesem Stopp deutlich. Nach dem Essen machen wir Platz für andere Fahrgäste und verschwinden in unsere Koje.

Skandinavisk frukost

Am nächsten Morgen erwachen wir nach einem tiefen Schlaf. Die Wagen rollen sehr ruhig und man spürt kaum, dass der Zug fährt. Wie immer in Nachtzügen ist der erste Blick aus dem Fenster am Morgen ein ganz besonderer Moment: Wo der Zug wohl gerade ist? Sind wir pünktlich unterwegs oder gab es in der Nacht Verzögerungen? Denn so vieles kann auf gut 1000 Schienenkilometer passieren. Doch unser Zug ist pünktlich unterwegs. Gerade verlassen wir Kemi, wo ein Lokwechsel erfolgte. Statt einer elektrischen Lok ziehen uns nun zwei Dieselloks weiter in Richtung Norden. Die Strecke ab Kemi nach Kolari ist nicht elektrifiziert. Eine weitere Besonderheit, dass ein solch langer und schwerer Nachtzug mit zwei Dieselloks weitergezogen wird.

Wir freuen uns auf das Frühstück und erreichen den Restaurantwagen, gerade als der Zug den Polarkreis passiert. Inzwischen hat sich die Landschaft verändert, es wurde karger, grauer und Schneereste liegen in den Wäldern. Und draussen sieht es kalt aus. Das Frühstück wäre auch im Abteil serviert worden, wir bevorzugen aber den besten Wagen des Zuges. Wie in einem Hotel ist das keine Sache, wir melden dem Personal unsere Abteilnummer und sie hinterlegen im System, dass wir das Morgenessen im Restaurantwagen bezogen haben.

So karg wie die Landschaft draussen fällt dann aber das Frühstück aus. Es gibt warmen Haferbrei mit ein paar Blaubeeren darauf, dazu Kaffee. Nicht gerade eine kulinarische Perle, dieser Brei, dafür stillt das Skandinavisk frukost den Hunger effizient.

Der nächste Morgen im Speisewagen.
Der nächste Morgen im Speisewagen.

Nach dem Frühstück genügt die Zeit gerade noch, um die Zähne zu putzen und zu packen – schon bald erreicht der Zug Kolari. Kurz darauf fahren wir auch schon im Bahnhof ein, zehn Minuten zu früh. Wir steigen aus dem Zug in den eiskalten Morgen und ziehen schnurstracks in Richtung des warmen Wartsaals des Bahnhofs. Von Kolari selber ist nicht viel zu sehen, der Bahnhof scheint mitten im Wald zu stehen und es riecht nach frisch geschlagenem Holz. Neben dem Gleis mit dem Perron befindet sich eine Holzverladeanlage, wo Baumstämme von einer elend langen Holzbeige auf Güterzüge verladen werden.

Diesel statt Strom: Diese zwei Dieselloks haben uns bis nach Kolari gezogen.
Diesel statt Strom: Diese zwei Dieselloks haben uns bis nach Kolari gezogen.

Ein Nachtzug der Superlative

Wir sind uns einig: Dieser Zug ist ein Nachtzug der Superlative. So etwas haben wir beide noch nirgends gesehen. Alles funktioniert, er ist pünktlich, sauber, modern und zuverlässig. Mit diesem Zug kann man rechnen und alles läuft selbstverständlich und ja, selbstbewusst ab. Man spürt förmlich, dass dieser Zug kein Zusatzangebot fährt, sondern ein wichtiger und ernster Bestandteil der Verkehrsinfrastruktur Finnlands ist.

Die beiden Autoren nach vor dem Nachtzug in Kolari.
Die beiden Autoren nach vor dem Nachtzug in Kolari.

Nach dem Abladen der Strassenfahrzeuge von den Autotransportwagen steigen auch die Autofahrer*innen wieder in ihre Fahrzeuge und fahren davon. Und es kehrt wieder Ruhe ein, an diesem einsam gelegenen Bahnhof, so weit im schönen Norden Europas.


Wenn du mehr über die ganze Reise erfahren möchtest, empfehlen wir dir den Reiseblog sowie die Website von Jonathan und François mit vielen Tipps & Tricks rund ums Zugfahren in Skandinavien: Schwedenreis.li

Jonathan und François haben in Helsinki das Werk der VR FleetCare besucht, der Unterhaltszweig der finnischen Staatsbahn. Im Werk durften Jonathan und François viele Hintergründe zu den Nachtzügen in Finnland erfahren. Diesen Bericht findest du hier: Bericht über den Besuch bei VR FleetCare.

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Reise mit dem Interrail-Pass durch Europa

In Kolari ist der nördlichste Punkt des regulär befahrenen finnischen Schienennetzes erreicht.
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Hast du auch eine spannende Fahrt mit dem Nachtzug oder Nachtbus hinter dir und möchtest deine Erlebnisse mit anderen Nachtreise-Fans teilen? Dann schreib uns an info@nightride.com – wir freuen uns auf deine Geschichte!